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Kunst-Handwerk auf Sylt.

Und, wo kommen Sie her? - Oder: "Jenseits des Mainstream"


„Sind Sie Sylter?“, heißt es oft – und ebenso häufig: „Nein“. In der Gegend um Keitum findet sich überwiegend die Schöpferkraft Zugezogener und die Clique der Kreativen wird immer größer. „Es war letztlich eine Frage der Klientel, dass ich nach Sylt gekommen bin“, sagt der Gold- und Silberschmied Thomas Rinke. Das habe mit der Kauflust der Menschen zu tun. Die sei hier größer als bei ihm zu Hause. Der bisher in Worpswede lebende Kunsthandwerker muss es wissen. Thomas Rinke hat den Blick des Neu-Sylters. Seit Anfang des Jahres auf der Insel, wohnt und arbeitet er in Keitum, wo die Mieten Spitzenwerte erreichen, wie sie kaum mehr aufzubringen sind. Er habe sich trotz Wohnungsnotbehelf ganz gut eingelebt und neue Leute kennen gelernt.

Das kleine Friesendorf ist seit Jahren populär bei kreativen Köpfen, die seinen Ruf als attraktive Adresse formieren. Die offen-kollegiale Atmosphäre untereinander macht die Inselgegend Sylt-Ost nicht nur zum Anziehungspunkt für Gäste, sondern auch für Künstler, Kunsthandwerker und Designer von überall her. An deren Atelierfenstern drücken sich im Sommer die Touristen die Nasen platt. Oder bestaunen wie Schmuck oder Arbeiten aus Glas anfertigt werden. Für sein erstes Sylt-Jahr hat sich Thomas Rinke eine Urlaubssperre auferlegt, so der 50-Jährige, der anfängt sich in der neuen Situation heimisch zu fühlen. „Es ist alles anders, aber es ist gut, gefällt mir.“ Mit seiner Familie führe er eine Long Distance-Beziehung bis klar sei, ob Sylt mehr als ein Zwischenspiel ist. Dass ein von ihm gefertigter Ring später „Spuren des Lebens“ zeigt, findet Thomas Rinke wichtig: „Schmuck, der das nicht hat, wird nicht geliebt, nicht getragen.“ Wie auch auf Sylt, stellt er in seinem Heimatatelier kunsthandwerklich Gefertigtes von Freunden aus.

Hans Jürgen Westphal zeigte dort geschmolzene Glasbilder und farbige Masken. Der Glasgestalter genießt seit über zwei Jahrzehnten den Vorzug, Sylts einziger Glasbläser zu sein. Am Keitumer Bahnhof lässt er vor der Flamme geblasene Kostbarkeiten entstehen. Als Pendler zwischen Keitum und Neukirchen, erfährt der Glaskünstler seit elf Jahren fast täglich das Gefühl, auf Sylt einzutreffen.

Den Zuzug von Kreativen begrüße er ebenso wie damit verbundene Herausforderungen. Seit April letzten Jahres bereichern Astrid Jahnke und Tanja Mihailovic kurz MOMO, das Mode- und Schmuckgeschehen im grünen Dorf. Gestartet als Dependance des gleichnamigen Berliner Labels, das Astrid Jahnkes Mutter führt, zeigen sie im gemeinsamen Laden nun eigene, zeitlos-feminine Entwürfe aus Leinen, Seide und Kaschmir. Nebst selbst gestaltetem Schmuckwerk, das Astrid Jahnke vor Ort fertigt und in dem sich die klare Designlinie von MOMO wieder findet. Ihre ehemaligen Berufe als Rechtsanwältin sowie Unternehmensberaterin haben die beiden Frauen an den sprichwörtlichen Nagel gehängt. Wie sie sagen, habe ihnen vormals eben das Kreative gefehlt und dazu die Selbstständigkeit gereizt. Im Vergleich zu ihren früheren Lebensmittelpunkten Berlin und Frankfurt, vermissen die zwei schon die kulturelle Vielfalt der Großstadt sowie deren Kaffeehauskultur. Aber Hauptstadttrips zum Stoffeinkauf oder Messebesuche brächten es eh mit sich, öfter weg zu kommen, so Astrid Jahnke. Auf Geselligkeit brauchen die couragierten Neu-Insulanerinnen hingegen nicht zu verzichten. „Wir sind positiv aufgenommen worden und haben nette Leute kennen gelernt. Weil man nah beieinander wohnt, sind selbst spontane Treffen gut möglich, um sich auszutauschen oder auch gemeinsam zu kochen“, sagt die 39-Jährige.

Etwa zusammen mit Birgit Damer, die, längst als Goldschmiedin geschätzt, sich jüngst auch als Genuss-Köchin einen Namen gemacht hat. Und Dinnershows konzipiert, Kochwettbewerbe gewinnt oder hobbymäßig Ess- und Kochevents auf Sylt oder in ihrer Heimatstadt Berlin veranstaltet. Überhaupt: Berlin verbindet. Ebenso wie gleiche Interessen in Sachen Kunst und Kultur, die einen in entlegene Winkel führen.

Im ruhigen Morsum ist die Galeristin Brigitte Scheel zu Hause. Für Land Art-Projekte über die Inselgrenzen hinaus bekannt, hat auch sie noch einen &Mac226;Koffer in Berlin’ stehen. Trotz vieler Reisen vergeht seit 1998 kein Jahr ohne Sylt-Ausstellungen: Ob Skulpturenschau oder Koch-Performance, Fotoausstellung, Installation oder Lesung - „Art Scheel“ ist eine der ersten Adressen für bemerkenswerte Events und Kunstaktionen. „Für die Künstler ist es eine große Herausforderung, sich auf 18.000 qm Wiese einzulassen“, sagt Brigitte Scheel. Zusammen mit Sylter Mitstreitern, waren 2004 Birgit Damer und Hans Jürgen Westphal bei ihr zu Gast gewesen, um kunsthandwerkliche Freiland-Konzepte zum Thema „Kreis“ vorzustellen. Und bisher habe sich stets die Scheelsche Maxime bewahrheitet: „Das Leben ist ein Trampelpfad – ich treffe immer auf die gleichen Menschen.“

Text/Fotos: Angelika Jakat

(Veröffentlichung: Inside Kampen Magazin, 09/05, S. 28-29)

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