Ausdruckstanz und Ziegenstall: Auf Valeska Gerts Spuren

Sie zählte seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den wichtigsten deutschen Repräsentantinnen des Ausdrucktanzes: Valeska Gert. Als Wirtin des Kampener Nachtclubs "Ziegenstall" erlangte sie später auf Sylt legendäres Ansehen. Die "Morsumer Theaterschmiede" erinnert an eine außerordentliche Künstlerpersönlichkeit mit bunter Lebensgeschichte.

Erinnern an die Künstlerpersönlichkeit Valeska Gert: Die Mitglieder der "Morsumer Theaterschmiede". Foto: Jakat

Westerland/Sylt (aja) - "Ich hasse alles Glatte, Schöne – vor allem auch das Mittelmaß. Da bin ich mehr für das Obszöne, nur das Extreme macht mir Spaß!" Die zweite Strophe einer Parodie von Christiane Retzlaff formuliert anschaulich das Erinnerungsbild einer ungewöhnlichen Frau und außergewöhnlichen Künstlerin, was sich im Verlauf des Valeska Gert-Leseabends der "Morsumer Theaterschmiede" immer wieder beweist.

Die Sylter Redakteurin hatte die Tänzerin und Kabarettistin Valeska Gert (1892-1978) kurz vor deren Tod kennen gelernt. "Ich stellte mich bei ihr im 'Ziegenstall' vor, um dort zu kellnern", berichtete Retzlaff am Dienstagabend im Podium. Eine eindrucksvolle Begegnung. Drei Sommer lang arbeitete die junge Studentin danach in dem legendären Kampener Nachtclub und erlebte eine exzentrische und skurrile Wirtin und Künstlerin, die mit über Achtzig in einem TV-Porträt von Volker Schlöndorff zeigt, dass ihr darstellerisches Können zeitlos fasziniert.

In Anlehnung an ihr Zitat "Ich will leben – auch wenn ich tot bin" gestalten Ule Weber, Andrea Engl und Christiane Retzlaff seit Juni anregende, interessante und speziell die originelle 70er Jahre-Ziegenstall-Atmosphäre beleuchtende Leseabende mit Gedichten von Valeska Gert und vorgetragenen Stimmungsbildern von Christiane Retzlaff sowie einigen eindrucksvollen Filmausschnitten und Tonaufnahmen.

Tucholsky nannte die Gert eine "dolle Nummer". Retzlaff beschreibt sie als ein Meter fünfzig große, stark geschminkte Clowngestalt mit elektrisierender Ausstrahlung, als "Explosion von Ausdruck und Vitalität". Immer wieder bei Null anfangen zu müssen, sich in Berlin, New York oder Sylt eine Existenz aufzubauen, forderte sie ihr Leben lang. Bewältigt werden konnte diese Aufgabe nur mit enormer Schöpferkraft, die der ungezähmten Gertschen Künstlernatur eigen war und jeglichen Schicksalsschlag zu einem Abenteuer werden ließ.

Ihre Pionierarbeit als expressive Ausdruckstänzerin hatte sie in den 20er Jahren berühmt gemacht. Ebenso wie ihr absurdes Kabarett, in dem sie Berliner Typen aus der Jahrhundertwende spielte und mimte.

Als Schauspielerin arbeitete Valeska Gert mit Regiegrößen wie Pabst, Junghans oder Fellini – stets auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen, um das Leben „erhöht bis zur Abstraktion“ darzustellen.

Der nächste Valeska Gert-Lesetermin findet am 2. Januar im "Teehaus Janssen" um 20 Uhr statt.

(Erscheinungsdatum: Donnerstag, 30.12.2004 / Sylter Rundschau)

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