Siegfried Lenz auf Sylt: Prosa im Zeichen von Humor und Distanz

"Kampener Literatursommer 2004": Siegfried Lenz bewies sich einmal mehr als wirksamer Publikumsmagnet. Der populäre Autor las im ausverkauften "Kaamp-Hüs" drei Texte aus seinem Werk und begeisterte eine 300-köpfige Zuhörerschaft, die ihm mit eifrigem Beifall dankte.

Sylter Literatur-Highlight: Signierstunde mit "Star-Literat" Siegfried Lenz vor der Lesung. Foto: Jakat

Kampen/Sylt (Angelika Jakat) - Vor über fünfzig Jahren, genau genommen: vor dreiundfünfzig Jahren ist ein erster Roman von Siegfried Lenz bei Hoffmann und Campe erschienen. Damit wurde der Grundstein für eine bis heute erfolgreiche Zusammenarbeit gelegt, die mit dem Buchtitel "Zaungast" ihre aktuelle Fortsetzung findet.

Mit Siegfried Lenz Sammlung von sieben Reiseerfahrungen war am Donnerstag auch Dr. Rainer Moritz unterwegs. Die Fragen des ehemaligen Geschäftsführers des Hamburger Verlags an den populären Autor gliederten dessen Leseabend im "Kaamp-Hüs", wo Lenz lediglich eine vergnügliche Reisegeschichte aus seinem zuletzt erschienenen Buch vorstellte.

Dazu las er zwei ältere Texte, deren Stimmungslagen gleichfalls auf Erheiterung zielen. Bei der Textauswahl sei er dem Ratschlag seines Verlegers gefolgt, betonte denn auch Lenz, nicht ohne selbstironisch anzumerken, man habe gar erbittert diskutiert.

Dessen ungeachtet sollte es die dritte hochkarätige Autoren-Lesung im Rahmen des "Kampener Literatursommers" werden, der an diesem lauen Juli-Abend seinem Namen tatsächlich alle Ehre machte.

Denn Anfang der gut zweistündigen Lenzschen Lesezeit machte "etwas Biographisches": Der Text "Wie ich begann" (ein FAZ-Abdruck aus den 70er Jahren) beleuchtet die voller Frohgemut reflektierten Erfahrungen des Jungredakteurs Lenz, die erfolgreichen Anfänge seiner Schriftstellerkarriere sowie die Zeit "ungeduldiger und hartnäckiger" Arbeit am Erstlingswerk "Es waren Habichte in der Luft", ein Psychogramm der Flucht, in das vieles eingeflossen ist, was der im ostpreußischen Lyck geborene Autor zuvor selbst erlebt hatte.

Danach lies Lenz seine Zuhörer die kaloriensatten Freuden und Leiden einer üppigen jütländischen Kaffeetafel miterleben, wobei die Schilderung des beeindruckenden Kuchen-Marathons aus dem Buch "Zaungast" beim Publikum Gefühlsregungen in der Bandbreite von größter Erheiterung bis zutiefst nachempfundener Übersättigung hervorrief.

Auch die sechs übrigen Reiseerzählungen in "Zaungast" sind allesamt kurz und unterhaltsam. Sie führen geografisch und sozial in extrem auseinander liegende Welten; sie spielen in Japan oder Australien, in Amerika oder Spanien. Allen gemeinsam ist der klare Ton, der den Abstand zum Geschehen aufrechterhält. Kulturelle Besonderheiten des jeweiligen Landes werden aus der Perspektive eines Ich-Erzählers wahrgenommen und aus der Distanz des sensiblen Beobachters geschildert, der Zustände und Situationen zu veranschaulichen sucht; dabei aber, stilisiert zum "Zaungast", nicht analysiert und wertet, sondern erlebt und staunt.

"Ein geretteter Abend" war der Schlusstext der amüsanten Lesung, der als kuriose literarische Momentaufnahme Einsichten in die Alltagssituation eines Referenten über See-Aquarien liefert. Nach anfänglichen Irritationen entwickelt sich zwischen dem "Männchen" und seiner Zuhörerschaft ein verblüffendes Einverständnis über das Verhältnis von Geist und Macht.

So waren es scheinbar gewöhnliche Lebenslagen, die das Sylter Publikum kennen lernte, das gleichsam angeregt wurde, parallel zum einsichtvollen Beobachter Lenz, überrascht zu sein – etwa über das Fehlen einer Fragerunde mit dem Autor.

(Erscheinungsdatum: Samstag, 01.11.2004 / Sylter Rundschau)

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