Überleben dank Massel und Chuzpe

Die Flucht seiner jüdischen Schwiegereltern von Kroatien nach Italien hat Manfred Lahnstein in seinem Buch "Massel und Chuzpe" beschrieben, aus dem er beim "Kampener Literatursommers" las.

Findet den "Kollektiv-Übertrag von Schuld fürchterlich": Der Autor Manfred Lahnstein. Foto: Jakat

Kampen/Sylt (Angelika Jakat) - "Es ist eine Geschichte von Demütigung und Stolz, von tiefer Humanität (...) und äußerster Bestialität, von Mut Schläue und Verzweiflung, von unglaublichem Glück und einem bewundernswerten Überlebenswillen", schreibt Manfred Lahnstein im Eingangstext zu seinem Buch "Massel und Chuzpe. Wie Blanca und Rudolf den Holocaust überlebten", aus dem der Autor am Donnerstagabend einige Passagen im Kaamp-Hüs las.

"Massel und Chuzpe", so Lahnstein, das bedeute soviel wie "Schwein" und Mut gehabt. Seine jüdischen Schwiegereltern hatten beides und überlebten den Holocaust.

Die abenteuerliche Flucht von Blanka und Rudolf Kandel aus Kroatien über Norditalien bis nach Rom und die damit verbundenen dramatischen Erlebnisse des jungen Liebespaares schildert Lahnstein aus dem Blickwinkel des einfühlsamen Zuhörers und aufmerksamen Biografen.

Über mehrere Jahre betrieb der Bundesfinanzminister a.D. Familienforschung, indem er Erlebtes zusammentrug, Daten und Fakten recherchierte und historisch ergründete. Seit 1994 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, rekonstruierte der Wahl-Hamburger auf 376 Buchseiten die Überlebensgeschichte einer großbürgerlichen, jüdischen Familie, anhand der er aufzeigt, dass auch "in Zeiten des Schreckens menschliches Handeln möglich war", so Lahnstein: "Das sei an die Adresse all derjenigen gerichtet, die mit dem Argument durch die Lande ziehen: 'Wir mussten das doch tun, wir konnten doch nicht anders'.’"

So erfuhren die rund 70 Zuhörer, die am bis dato heißesten Tag des Jahres zur Lesung gekommen waren, dass etwa der schicksalhafte Ausgang eines Kartenspiels Rudolf vor dem KZ gerettet hatte. Und dass die Trauung des jüdischen Paars nach einer katholischen Hochzeitszeremonie vollzogen worden war, und zwar ohne viele Fragen von einem italienischen Priester.

Mehrere solcher damals Leben rettenden "Wunder" verdeutlichte Lahnsteins anschaulicher Lesevortrag auf eindringliche Weise, den er zudem selber kommentierte. Am Ende äußerte sich der 67–Jährige überrascht über den Ausgang der Lesung, die beim Sylter Publikum das Interesse an einem vertieften Dialog über das Thema Aufarbeitung von deutsch-jüdischer Vergangenheit hervorrief.

"Wir sollten endlich begreifen, dass es sich auch bei Juden um ganz normale Menschen handelt. Vom Besonderen bis zum Aussondern ist es oft nur ein kleiner Schritt." (Manfred Lahnstein)

(Erscheinungsdatum: Samstag, 07.08.2004 / Sylter Rundschau)

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