Hamlet: Mördergeschichte ohne Verfallsdatum

Landestheater zeigt eine etwas andere Shakespear Inzenierung: Zeitlos aktuell ist die Tragödie von Mord, Rache und Vergeltung.

Zeigten eine moderne Hamlet Interpretation: Das Ensemble des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters. Foto: Jakat

Westerland/Sylt (Angelika Jakat) - Musikalisch modisch, mit dem Song „Paint it black“ von den „Rolling Stones“, beginnt das Spiel. Eine schrill geschminkte, im 70er Jahre Stil gekleidete Frau mit Plateau-Schuhen und Plastik-Regenmantel tanzt mittels imaginärer Gitarre auf der nachtdunklen Bühne.

Der lebhaft-beflissene Horatio (Steffen Casimir Roczek) und der kühl-gelassene Bernardo (Ulrich Herold) hängen lässig herum, doch ein wandelnder Geist (Brigitte Lehner) in Ritterrüstung, mit dänischer Flaggen-Schleppe auf dem Rücken und mit einem Schwert bewaffnet lässt verhängnisvolle Geschicke erahnen.

Bereits das erste Bild in Axel Vornams Inszenierung der Tragödie „Hamlet“ von William Shakespeare rückt den klassischen Stoff in das 20. Jahrhundert. Aus Hamlets königlicher Herkunft ist die Vorstandsetage des mächtigen und intriganten Magnaten und Bruder-Mörders Claudius (Stefan Eichberg) geworden, dessen Wohn- und Geschäftshaus überwiegend der Ort der Handlung ist.

Ein blasswangiger, illusionsloser Hamlet (Sebastian Reck) erinnert im schwarzen 50er-Jahre Anzug-Outfit an einen jungen, sehnsuchtsvollen und unglücklichen Großstadt-Rebellen mit außergewöhnlich komplexer Charakterstruktur. Behaftet mit inneren Konflikten, zweifelhaften moralischen Prinzipien und folgenschwerem Racheschwur wird Hamlet zum Mörder am verräterischen aber unschuldigen Polonius (Renè Rollin).

Hamlet ist voller Tücke und wird „toll aus List“. Und obwohl er sich der Verantwortung des eigenen, Unglück bringenden Handels bewusst ist lautet seine Maxime: „Ich muss nur grausam sein, um gut zu sein.“

Der sprachlich modernen Übersetzung ins Deutsche von Heiner Müller entsprechen die Kostüme von Hannelore Schmidt-Thomsen und das schlichte Bühnenbild von Hans Ellerfeld. Eine nackte Glühbirne, zwei grell-weiße Neonröhren und ein Aluminium glänzender Fahrstuhl drängen sich in den Blick des Zuschauers, als Anspielung auf eine durch Vertrauens- und Schutzverlust dominierte, kühle Stimmungslage in der Gemeinschaft.

Mord zieht Rache und Tod nach sich und Liebe endet in Verzweiflung und tödlichem Wahn. Hohe, schmutzig-rotbraune Wände erinnern entfernt an altes Schlossgemäuer und stellen entfernte Anleihen an traditionelle Interpretations-Elemente dar.

Im zweiten Teil der dreistündigen Inszenierung spitzt sich das Geschehen zu: Eine intensive, puppenhafte Ophelia (Maria Steurich) verfällt dem Wahnsinn mit anschließendem Freitod. Ein wild-hitziger Laertes (Werner Halbedl) verletzt Hamlet mit vergiftetem Degen im Duell und stirbt schließlich selbst. Überdies trinkt Hamlets impulsive Mutter Gertrud (Doris Dubiel) den vergifteten Trank, den ihr mörderischer Gatte für seinen gefürchteten Neffen Hamlet zubereitet hatte.

Seiner Machenschaften entlarvt, ereilt zuletzt Claudius der Gifttod. Komödiantisches und pantomimisches Potenzial beweisen zwei clownig- spaßige Totengräber (Cosima Greeven, Brigitte Lehner), die, bei allem thematischen Ernst, den ein oder anderen Szenen-Lacher bekamen. Als am Ende der Vorhang fiel, gab es ordentlichen Applaus von den über hundert Zuschauern.

(Erscheinungsdatum: Dienstag, 29.04.2003 / Sylter Rundschau)

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