Einar Gudmundsson: "Ein Mensch ist die Freude der anderen"

Der isländische Erfolgsautor Einar Már Gudmundsson machte auf einer Lesereise durch die norddeutsche Region Station im dänischen Pastorat in Westerland, wo er aus seinem zuletzt ins Deutsche übersetzten Roman las. Gudmundsson ist vielfach Preis gekrönt und gilt als ein wichtiger Repräsentant des modernen isländischen Romans.

Versteht das Schreiben eines Romans als „Reise ins Ungewisse“: Einar Már Gudmundsson. Foto: Jakat

Westerland/Sylt (Angelika Jakat) - Als kleiner Junge wollte Einar Már Gudmundsson Friseur werden. Und während seiner Schulzeit beschwerten sich die Lehrer über den mitteilsamen Schüler. Heute, einige Jahrzehnte später, ist er einer der führenden Schriftsteller Islands. „Ich hatte schon immer das Bedürfnis Geschichten zu erzählen und ein Friseurladen ist ein Ort der Geschichten“, sagt Gudmundsson.

Der Autor, der 1954 geboren ist und in Reykjavík lebt, bezieht seine literarischen Anregungen aus dem wirklichen Leben mit seinen alltäglichen Schrecken. Seine Beschreibungen sind realistisch und detailgetreu. Laut Gudmundsson ist der kulturelle Klassenunterschied in Island nicht sehr groß. Aufgrund seiner vielen Lesungen vor den unterschiedlichsten sozialen Gruppen habe er einen guten Kontakt zur Gesellschaft, den er aber nicht missbrauche: „Das liegt dann in meinen Büchern. Der poetische Geist ist viel größer als der politische Geist.“

So schreibt Gudmundsson „immer die Geschichte, die nie erzählt worden ist“ und bricht auf diese Art und Weise Tabus. Günter Grass schätzt er „als Vater der modernen Romane, weil er kehrt nach dem 2. Weltkrieg mit „Die Blechtrommel“ zurück zum Erzählen, sieht der Gesellschaft in die Augen.“

In seinem kürzlich als Taschenbuch erschienen Roman „Fußspuren am Himmel“ setzt der Autor seinen Großeltern ein literarisches Denkmal. Er habe im Roman ein „lokales Universum“ geschaffen. Der Rahmen der konfliktreichen Familien- bzw. Lebensgeschichte habe viel autobiographisches und auch die Ereignisse haben Wahrheitsgehalt, seien aber erdichtet, erläutert Einar Már Gudmundsson. Die Protagonisten kämpfen mit Hunger und Armut und verlieren trotz aller existenziellen und menschlichen Widrigkeiten ihren Lebensmut nicht. Wieder einmal geht Einar Már Gudmundsson seiner Tendenz nach über Menschen zu schreiben die Randfiguren der Gesellschaft sind. Versager also? Gudmundsson verneint. Alle Menschen sind gleich, laute seine Botschaft. Er mache den Versuch, sie aus ihren Voraussetzungen heraus zu verstehen. Er schreibe über Menschen mit „Selbstrespekt, Menschen mit Geschichte und Stolz, die sich nicht unterdrücken lassen, weil sie größere Individualisten sind.“

Was seine Helden in „Engel des Universums“ oder „Ritter der runden Treppe“ betrifft, auch diese Charaktere betonen das Anderssein. Gleichwohl mache der hohe Identifikationsfaktor der Bücher seinen beruflichen Erfolg aus, glaubt der gedankenvolle Schriftsteller.

Gudmundsson ist Dichter und Erzähler in einer Person, seit über zwanzig Jahren. In Island und Dänemark hat der fünffache Vater Geschichte und Literatur studiert. Zwei Jahre lang hatte er sich verschiedene Länder angesehen und mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, als Arbeiter in einer Fischfabrik, als Bauarbeiter in Norwegen, als Weinpflücker in Frankreich. Begegnungen mit Menschen und die Literatur des jeweiligen Landes haben dabei seine Eindrücke geprägt. Trotz aller Freiheit, die ihm die „Romankunst“ gewähre empfindet Gudmundsson das Schreiben als Handwerk. Überhaupt habe sich die Schreibkunst ihn gewählt, nicht umgekehrt – aber die beiden lebten gut zusammen.

Sein erstes Gedicht begreift er als „Vulkanausbruch“ seiner Seele, der bisher nicht aufgehört hat - der Vulkan sei lebendig. Das Schreiben ist ihm zur Passion geworden. Wie er das genau betreibe? Das sei ein Arbeitsprozess. Er informiere sich in alten Zeitungen, in Geschichtsbüchern, führe Gespräche mit älteren Menschen und setze seine eigene Fantasie ein. „Die Geschichten kommen zu mir, wie die Kinder zu Jesus“, stilisiert Gudmundsson seine Arbeitsweise, die den authentischen Hintergrund sucht.

Seine Offenheit und sein Interesse für Menschen spiegelt sich auch in seinen Gedichtsammlungen und Novellen, ebenso in seinen Kinderbüchern und Essays. „All you need is love“, ist sein Lebensmotto, sagt Einar Már Gudmundsson, der die Musik der Beatles und Bob Dylans mag. Der sei, wie er eingesteht, einer der größten Dichter der Welt.

„Der Schriftsteller ist immer eine Widerstandsbewegung“
(Einar Már Gudmundsson, Autor)

(Erscheinungsdatum: Montag, 01.12.2003 / Sylter Rundschau)

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